Zum Reformationsjubiläum 2016/2017 – »Jubeljahr mit Bittertropfen«

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Thomas Ebersberg

Zum Reformationsjubiläum 2016/2017 – »Jubeljahr mit Bittertropfen«

Das Reformationsjubiläum, auf die Person Luthers zentriert, steuert auf seinen Höhepunkt zu. Es herrscht Euphorie ganz im Sinne moderner Eventkultur. Immerhin, bei aller Begeisterung, auch kritische Töne sind zu vernehmen. Neben Luthers Verdiensten scheut man nicht die Auseinandersetzung mit seinen Schwächen, seinen Abgründen. Der emanzipatorischen Aufmüpfigkeit gegenüber den kirchlichen Autoritäten und dem Mut, Missstände anzuprangern, stehen seine Attacken gegen die Juden und sein Image als "Fürstenknecht" und "Bauernhasser" gegenüber. Die eigentlichen Bittertropfen des Jubeljahrs jedoch dürften ganz andere sein. Es wird gefeiert und diskutiert, derweil sich die Kirchen, ob protestantische oder katholische, sukzessive leeren. Und kaum einer der Festredner fragt: "Warum?"
Liegt es nur an Luther mit seiner kuriosen Angst vor Teufel und Hölle und seiner mit Eifer betriebenen Rechtfertigung "allein durch den Glauben", der den Zeitgenossen relativ kalt lässt? Hat der Moderne kein (Erb-)Sündenbewusstsein mehr? Glaubt er womöglich gar nicht mehr an Himmel und Hölle? Ist er infolge der inzwischen auch von den Kirchen in Anspruch genommenen "Aufklärung" weniger am Glauben als an kritischem Denken interessiert? Hat er jegliche Antennen für Transzendenz und Übernatur verloren? Als "religiös unmusikalisch" wird dieser "genetische Mangel" heute von den Gläubigen bezeichnet. Oder verzichtet der Areligiöse womöglich zu Recht auf eine Beziehung zu einem Gott, von dem er nur über die Altvorderen und deren "Offenbarungserlebnisse" gehört hat, dem er selbst niemals begegnet ist? Denn, Beziehungen ohne sinnliche Erfahrung des Gegenübers - sind diese überhaupt möglich, entsprechen sie der Conditio humana?
Ja, in Kirchenkreisen gibt man sich redlich Mühe, nicht den Anschluss an die Moderne zu verpassen. Man hat sich mit den Themen Umwelt, Klimaschutz, Ökologie, soziale Gerechtigkeit angefreundet, und ganz aktuell, die Flüchtlingsproblematik liefert Zündstoff für moralische Appelle - das alles subsumiert unter den bewährten, nicht hinterfragten Begriffen "Bewahrung der Schöpfung" und "Nächstenliebe". "Liebe" bleibt das allgewaltige Zauberwort. Die "Liebe Gottes" zu den Menschen, zu jedem von uns, wird beschworen. Was auch immer an Schönem und Schrecklichem dem Einzelnen zustößt, er darf sich "geliebt" wissen. Welche andere Botschaft könnte den Gläubigen und den Verzagten ähnlich in Entzücken versetzen? Doch welche andere als diese "Liebesbotschaft" wird durch die erfahrene Wirklichkeit krasser konterkariert, infrage gestellt?
Ja, man ist nicht glücklich über die Kirchenspaltung. Unter der Flagge der Ökumene pilgerten Heinrich Bedford-Strohm und Kardinal Marx gemeinsam zur Geburtsstätte jenes Jesus, der, wenn er von der Spaltung wüsste, sich "im Grabe drehen" würde. Man ahnt, in Zeiten fortschreitender Säkularisation kann man sich - zumindest die monotheistischen Religionen - nicht den öffentlichen Streit um die "wahre Religion" und die "wahre Kirche" leisten. Da lässt sich sogar der römische Papst Franziskus - ein Luther könnte ihn heute schwerlich als "Antichristen" verdammen - beim Reformationsgedenken in Schweden zu einer großzügigen Geste, zur Umarmung einer lutherischen Erzbischöfin hinreißen. Derartige symbolträchtige Gesten und vage angedeutete, reformversprechende Äußerungen für die Zukunft sind seine von hoffnungsvollen Gläubigen umjubelten Markenzeichen.
Man weiß in Kreisen der Ökumene, man wird sich niemals über die Interpretation jenes grausamen, in der "Eucharistie" gefeierten Opfers des eigenen Sohnes, das ein Gott "aus Liebe zu den Menschen" sich selbst brachte, einigen können. An der Frage, ob Leib und Blut des Herrn tatsächlich oder nur symbolisch verspeist, bzw. getrunken wird, werden sich die Geister ewig scheiden. Man weiß, dass die Juden, das "auserwählte Volk Gottes", niemals jenen gekreuzigten Wanderprediger als ihren verheißenen "Messias" anerkennen werden. Man weiß, dass die Muslime niemals jenes phantastische Konstrukt "Heilige Dreifaltigkeit" in ihren Glauben aufnehmen werden. Aber, da man ja an ein und denselben Gott glaubt, umarmt man sich und betet gemeinsam. Und die Gläubigen der drei konkurrierenden, in sich gespaltenen Religionen sind gerührt, hoffen auf eine "ökumenische Lösung" in irgendeiner, wenn auch noch so fernen Zukunft.
Wie anders als durch die inszenierte rituelle Gemeinsamkeit sollte man der zunehmenden Macht und Faszination säkularer Weltanschauung widerstehen? Selbst das letzte Argument für den Glauben, die Angst vor dem Tod, mit der alle transzendentalen Vorstellungen begannen, wabert nur noch als vage Angst in den Köpfen der Gläubigen. Das versprochene Paradies, die "selige Vereinigung mit Gott" in einer geschichtslosen Ewigkeit - das lässt die Herzen des Zeitgenossen, sofern ihm reale "himmlische" Genüsse und "paradiesische" Augenblicke im Diesseits vergönnt sind, nicht mehr höher schlagen.
Selbst das "Wort Gottes", die Bibel, ist längst in den Sog aufklärerischer Interpretation geraten. Unter historisch-kritischer Betrachtung der Texte stellt sich die Frage: Was ist hier "Offenbarung", "Gotteswort", was ist den allgemein gültigen Vorstellungen, der Bildwelt jener Zeit geschuldet? Sind die "geoffenbarten", heiligen Schriften womöglich nichts anderes als "Gedankenblitze", "Eingebungen" ebenso phantasiebegabter wie moralisch engagierter Menschen, sprich: Weltverbesserer, ehemals in mythisch geprägten Zeiten als "Propheten" oder "Gottgesandte" bezeichnet? Ist "Gotteswort" bei nüchterner Betrachtung womöglich nichts anderes als "Menschenwort"?
Die christlichen "Essentials" - Offenbarung, Auserwählung, Erbsünde, Opfertod und Paradies - diese Themen scheinen in den Jubelfeiern zur Reformation nicht aufgegriffen zu werden, um sie nach ihrem offensichtlichen Glaubwürdigkeitsverlust in neuem Glanz erstrahlen zu lassen. An vermeintlich selbstverständlichen Glaubenswahrheiten zu rühren erscheint unnötig, ist womöglich gefährlich. Die Beteuerung des lutherischen "sola fide" - allein durch Glaube! - sollte genügen. Das "Wage zu denken, deinen Glauben zu hinterfragen, ihn mit deinen eigenen Erfahrungen zu konfrontieren!" überlasse man den bedauernswerten "religiös Unmusikalischen".
Und so werden Luther, den man keck mit dem Beginn der Säkularisation in Verbindung bringt, und das Reformationsjubiläum zum Schutzwall gegen eben jene sich epidemisch ausbreitende Seuche "Säkularisation" und zur Trutzburg euphorischer Selbst-vergewisserung aufgebaut. Wird es dem Reformator posthum und seinen Anhängern gelingen, den Lauf der Bewusstseinsgeschichte anzuhalten? Ist der Optimismus der Feiernden berechtigt? Oder wäre es nicht vielleicht doch ehrlicher und intellektuell redlicher, bei diesem historischen Anlass zu sagen: "500 Jahre Reformation sind genug! Lasst uns die Dinge des Lebens ohne Luther nach intellektuell und emotional überzeugenden humanen Kriterien regeln!" Statt einer Jubel- eine Abschlussfeier also?

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