Zum Reformationsjubiläum 2016/2017 – »Jubeljahr mit Bittertropfen«
Zum Kirchentag 2019 – »Was für ein Kirchentag...«
Bischof Ackermann und der Aufstand der Gläubigen – »Warum diese Aufregung?«
Thomas Ebersberg
Zum Reformationsjubiläum 2016/2017 – »Jubeljahr mit Bittertropfen«
Das
Reformationsjubiläum, auf die Person Luthers zentriert, steuert auf seinen Höhepunkt
zu. Es herrscht Euphorie ganz im Sinne moderner Eventkultur. Immerhin, bei aller
Begeisterung, auch kritische Töne sind zu vernehmen. Neben Luthers Verdiensten
scheut man nicht die Auseinandersetzung mit seinen Schwächen, seinen Abgründen.
Der emanzipatorischen Aufmüpfigkeit gegenüber den kirchlichen Autoritäten und
dem Mut, Missstände anzuprangern, stehen seine Attacken gegen die Juden und
sein Image als "Fürstenknecht" und "Bauernhasser" gegenüber. Die eigentlichen
Bittertropfen des Jubeljahrs jedoch dürften ganz andere sein. Es wird gefeiert
und diskutiert, derweil sich die Kirchen, ob protestantische oder katholische,
sukzessive leeren. Und kaum einer der Festredner fragt: "Warum?"
Liegt es nur an Luther mit seiner kuriosen Angst vor Teufel und Hölle und seiner
mit Eifer betriebenen Rechtfertigung "allein durch den Glauben", der den Zeitgenossen
relativ kalt lässt? Hat der Moderne kein (Erb-)Sündenbewusstsein mehr? Glaubt
er womöglich gar nicht mehr an Himmel und Hölle? Ist er infolge der inzwischen
auch von den Kirchen in Anspruch genommenen "Aufklärung" weniger am Glauben
als an kritischem Denken interessiert? Hat er jegliche Antennen für Transzendenz
und Übernatur verloren? Als "religiös unmusikalisch" wird dieser "genetische
Mangel" heute von den Gläubigen bezeichnet. Oder verzichtet der Areligiöse womöglich
zu Recht auf eine Beziehung zu einem Gott, von dem er nur über die Altvorderen
und deren "Offenbarungserlebnisse" gehört hat, dem er selbst niemals begegnet
ist? Denn, Beziehungen ohne sinnliche Erfahrung des Gegenübers - sind diese
überhaupt möglich, entsprechen sie der Conditio humana?
Ja, in Kirchenkreisen
gibt man sich redlich Mühe, nicht den Anschluss an die Moderne zu verpassen.
Man hat sich mit den Themen Umwelt, Klimaschutz, Ökologie, soziale Gerechtigkeit
angefreundet, und ganz aktuell, die Flüchtlingsproblematik liefert Zündstoff
für moralische Appelle - das alles subsumiert unter den bewährten, nicht hinterfragten
Begriffen "Bewahrung der Schöpfung" und "Nächstenliebe". "Liebe" bleibt das
allgewaltige Zauberwort. Die "Liebe Gottes" zu den Menschen, zu jedem von uns,
wird beschworen. Was auch immer an Schönem und Schrecklichem dem Einzelnen zustößt,
er darf sich "geliebt" wissen. Welche andere Botschaft könnte den Gläubigen
und den Verzagten ähnlich in Entzücken versetzen? Doch welche andere als diese
"Liebesbotschaft" wird durch die erfahrene Wirklichkeit krasser konterkariert,
infrage gestellt?
Ja, man ist nicht glücklich über die Kirchenspaltung. Unter der Flagge der Ökumene
pilgerten Heinrich Bedford-Strohm und Kardinal Marx gemeinsam zur Geburtsstätte
jenes Jesus, der, wenn er von der Spaltung wüsste, sich "im Grabe drehen" würde.
Man ahnt, in Zeiten fortschreitender Säkularisation kann man sich - zumindest
die monotheistischen Religionen - nicht den öffentlichen Streit um die "wahre
Religion" und die "wahre Kirche" leisten. Da lässt sich sogar der römische Papst
Franziskus - ein Luther könnte ihn heute schwerlich als "Antichristen" verdammen
- beim Reformationsgedenken in Schweden zu einer großzügigen Geste, zur Umarmung
einer lutherischen Erzbischöfin hinreißen. Derartige symbolträchtige Gesten
und vage angedeutete, reformversprechende Äußerungen für die Zukunft sind seine
von hoffnungsvollen Gläubigen umjubelten Markenzeichen.
Man weiß in Kreisen der Ökumene, man wird sich niemals über die Interpretation
jenes grausamen, in der "Eucharistie" gefeierten Opfers des eigenen Sohnes,
das ein Gott "aus Liebe zu den Menschen" sich selbst brachte, einigen können.
An der Frage, ob Leib und Blut des Herrn tatsächlich oder nur symbolisch verspeist,
bzw. getrunken wird, werden sich die Geister ewig scheiden. Man weiß, dass die
Juden, das "auserwählte Volk Gottes", niemals jenen gekreuzigten Wanderprediger
als ihren verheißenen "Messias" anerkennen werden. Man weiß, dass die Muslime
niemals jenes phantastische Konstrukt "Heilige Dreifaltigkeit" in ihren Glauben
aufnehmen werden. Aber, da man ja an ein und denselben Gott glaubt, umarmt man
sich und betet gemeinsam. Und die Gläubigen der drei konkurrierenden, in sich
gespaltenen Religionen sind gerührt, hoffen auf eine "ökumenische Lösung" in
irgendeiner, wenn auch noch so fernen Zukunft.
Wie anders als durch die inszenierte rituelle Gemeinsamkeit sollte man der zunehmenden
Macht und Faszination säkularer Weltanschauung widerstehen? Selbst das letzte
Argument für den Glauben, die Angst vor dem Tod, mit der alle transzendentalen
Vorstellungen begannen, wabert nur noch als vage Angst in den Köpfen der Gläubigen.
Das versprochene Paradies, die "selige Vereinigung mit Gott" in einer geschichtslosen
Ewigkeit - das lässt die Herzen des Zeitgenossen, sofern ihm reale "himmlische"
Genüsse und "paradiesische" Augenblicke im Diesseits vergönnt sind, nicht mehr
höher schlagen.
Selbst das "Wort Gottes", die Bibel, ist längst in den Sog aufklärerischer Interpretation
geraten. Unter historisch-kritischer Betrachtung der Texte stellt sich die Frage:
Was ist hier "Offenbarung", "Gotteswort", was ist den allgemein gültigen Vorstellungen,
der Bildwelt jener Zeit geschuldet? Sind die "geoffenbarten", heiligen Schriften
womöglich nichts anderes als "Gedankenblitze", "Eingebungen" ebenso phantasiebegabter
wie moralisch engagierter Menschen, sprich: Weltverbesserer, ehemals in mythisch
geprägten Zeiten als "Propheten" oder "Gottgesandte" bezeichnet? Ist "Gotteswort"
bei nüchterner Betrachtung womöglich nichts anderes als "Menschenwort"?
Die christlichen "Essentials" - Offenbarung, Auserwählung, Erbsünde, Opfertod
und Paradies - diese Themen scheinen in den Jubelfeiern zur Reformation nicht
aufgegriffen zu werden, um sie nach ihrem offensichtlichen Glaubwürdigkeitsverlust
in neuem Glanz erstrahlen zu lassen. An vermeintlich selbstverständlichen Glaubenswahrheiten
zu rühren erscheint unnötig, ist womöglich gefährlich. Die Beteuerung des lutherischen
"sola fide" - allein durch Glaube! - sollte genügen. Das "Wage zu denken, deinen
Glauben zu hinterfragen, ihn mit deinen eigenen Erfahrungen zu konfrontieren!"
überlasse man den bedauernswerten "religiös Unmusikalischen".
Und so werden Luther, den man keck mit dem Beginn der Säkularisation in Verbindung
bringt, und das Reformationsjubiläum zum Schutzwall gegen eben jene sich epidemisch
ausbreitende Seuche "Säkularisation" und zur Trutzburg euphorischer Selbst-vergewisserung
aufgebaut. Wird es dem Reformator posthum und seinen Anhängern gelingen, den
Lauf der Bewusstseinsgeschichte anzuhalten? Ist der Optimismus der Feiernden
berechtigt? Oder wäre es nicht vielleicht doch ehrlicher und intellektuell redlicher,
bei diesem historischen Anlass zu sagen: "500 Jahre Reformation sind genug!
Lasst uns die Dinge des Lebens ohne Luther nach intellektuell und emotional
überzeugenden humanen Kriterien regeln!" Statt einer Jubel- eine Abschlussfeier
also?