1. Wie sie dich präparieren
Politik,
Wirtschaft, Kunst und Religion rufen im Chor: „Gebt uns einen bestimmten Typ .Mensch, wir
werden ihn schon glücklich machen!“
Unternehmen „Roter
Faden“
Am liebsten würdest du dich mitten
hinein ins volle Menschenleben stürzen, gleich auf die „Midlifecrisis“
zusteuernd. Sachte, mein Freund! Du musst lernen, dich geduldig an deine Beute
heranzupirschen. Dein Ungestüm könnte sie verscheuchen.
Wenn wir uns und unserer Zeit auf die
Schliche kommen wollen, müssen wir ganz von vorne anfangen, am Tag der Geburt.
Deine Kindheit scheint zwar vorbei und vergessen, du hast sie gewissermaßen
„abgehakt“ und „ad acta“ gelegt. Die Erinnerung an jenes „Kindheitsparadies“
weckt gemischte Gefühle. Dennoch sollten wir uns an den prekären Themen Kindheit und Erziehung
nicht vorbeimogeln. Sie verraten mehr als alle Dogmen und Doktrinen etwas über
diese Zeit und ihr geheimes Wunschbild.
Man muss sich von der Illusion
freimachen, unsere aufgeklärte Moderne wünsche sich einen „naturbelassenen“,
freien, vitalen und selbstbewussten Menschen. Längst bevor der Säugling nackt
und ahnungslos auf die Welt kommt, hat man festgesetzt, was ihm zum Glück
gereicht. Politik, Wirtschaft, Kunst und Religion rufen im Chor: „Gebt uns
einen bestimmten Typ .Mensch, wir werden ihn schon glücklich machen!“
Von den Eltern erwartet man, dass sie
ihr Kind, in der Sprache der Moderne ausgedrückt, richtig „programmieren“. Das
funktioniert im Großen und Ganzen recht gut. Diese Eltern sind selbst Produkt
ihrer Zeit. Sie haben vieles von dem, was man ihnen beigebracht hat,
„assimiliert“.
Und wenn sie Zweifel bekommen – wer
erzieht schon gerne sein Kind zum Außenseiter? Der Weg vom Außenseiter zum
Strandgut ist bekanntlich nicht weit. Also spielen die Eltern ihre Rolle wie eh
und je. Sie leisten die Vorarbeit am Material Mensch, wie es benötigt wird.
Dieses Material ist zwar teilweise
etwas antiquiert: Jäger, Nomade und Steinzeitmensch geistern noch im Erbgut
herum. Dafür ist es umso flexibler, beinahe „unzerbrechlich“. Man kann es
biegen und hämmern, es gibt nach und gewinnt die Form, die man wünscht. Der
Mensch ist das Anpassungsgenie schlechthin. Das lässt ihn überall und jederzeit
überleben. Und was ist wichtiger als zu überleben?
Natürlich gibt es immer ein paar
„kleine Wilde“, Anarchos und Chaoten, die sich querlegen. Sie sind, wenn sie
ihr „Anderssein“ nicht vermarkten können, letztlich zum Scheitern verurteilt.
Die Mehrheit überlebt dank erzieherischer Anpassung und fügt sich erstaunlich
konfliktlos in das vorgegebene Konzept.
Machen wir uns auf die Suche nach dem
„roten Faden“, der sich durch das Ganze zieht. Entdecken wir die heimlichen
Querverbindungen. Es ist amüsant – vielleicht auch ein bisschen erschreckend –
aufzuspüren, wie sich unsere Kultur mitsamt ihrem ungeschriebenen Weltbild
schon im zarten Kindesalter verrät; wie jedes Detail im Säuglingsleben sein
Pendant in der Welt der Erwachsenen wiederfindet.