Vor der Ehe – Ein Weg mit Hindernissen

 

Was ist das: „Liebe“?

 

An den verschiedensten Orten taucht es auf, das Wort „Liebe“. Es wird von der Kinoleinwand geflüstert und es tönt von der Kanzel. Romane, Schlagertexte und Heilige Schriften rühmen die Liebe. Die Erzieher predigen oft und eindringlich von der Liebe. Verwirrend für den Zögling sind die jeweils wechselnden Bedeutungen dieses Begriffs: „Gottesliebe“, „Nächstenliebe“, „Mutterliebe“, „Gattenliebe“… Die Liebe scheint ein Chamäleon zu sein, das dank wechselnder Farben in jede Umgebung passt.

' Was ist das, „Liebe“? Ist es die vage Sehnsucht nach etwas „Höherem“, nach einem Gott? Ist es das edle Mitgefühl für den „Nächsten“? Ist es die Aufopferungsbereitschaft einer Mutter, oder ist es jene ekstatische Lust zwischen den Beinen, die Männlein und Weiblein beglückt?

In der Werteskala der Liebe rangieren Gottes- und Nächstenliebe ganz oben, was nicht bedeutet, dass sie für den normalen Sterblichen besonders attraktiv sind. Sie mussten zum „Gebot“ erhoben werden.

Das Hohelied der „Mutterliebe“ wird gesungen. Sie sei das leuchtende Beispiel der reinen und selbstlosen Liebe. Doch wie sieht das mit der Selbstlosigkeit aus? Versuchen nicht die Mütter allzu oft, ihre Kinder an sich zu fesseln und sie zu lebenslangen „Nesthockern“ zu machen? Die Mutterliebe kann dir wie eine Zecke im Nacken sitzen, die bekommst du nie mehr los.

Am unteren Ende der Skala rangiert – wohl wegen ihres hohen Lustanteils – die Liebe zwischen Mann und Frau. Sie braucht nicht zum Gebot erhoben zu werden. Im Gegenteil. Man bremst, knebelt sie und unterwirft sie rigorosen Tabus. Was macht sie moralisch so suspekt?

Der Höherzivilisierte bewundert alles, was mit Geist und Pflicht zu tun hat, während er dem Körper und der Lust misstrauisch gegenübersteht. Liebe und Lust gehören nicht unbedingt zusammen, sagt man. Ja, es sei fernab von Liebe, wenn zwei sich aus „bloßer Lust“ vereinigen.

Die rein geistige, „platonische“ Liebe wird zwar belächelt, nicht aber geächtet. Die rein körperliche Liebe, der „pure Sex“, wird zwar heimlich genossen, gilt aber dennoch als weit unter der Menschenwürde. Die sexuelle Beziehung, animalisch und brutal, bedarf erst der „höheren Weihen“, um den Namen „Liebe“ zu verdienen. Was ist das also, „Liebe“?

Man nehme jedes irgendwie positiv gefärbte Gefühl für irgendetwas und werfe es in jenen großen Topf, der mit dem Etikett „Liebe“ versehen ist. Die Nonne und das Sexsymbol, der Urwaldarzt und der Playboy – sie alle beanspruchen für sich die Liebe.

Es meldet sich der Verdacht, dass das Verwirrspiel um den Begriff Liebe nicht ohne Absicht geschieht. Wird doch die erotische Liebe in ihrer Bedeutung relativiert und gegenüber der „geschlechtslosen“ Liebe in den Hintergrund gedrängt. Das rettet das Selbstwertgefühl jener, denen erotische Liebe versagt bleibt oder abstirbt.

Der zölibatäre Priester auf der Kanzel, die ausgetrocknete alte Jungfer, die aufopfernde Gattin, die sich schon lange nicht mehr begatten lässt, und der treusorgende impotente Gatte – kurz: das gewaltige Heer der Frustrierten und Neurotiker, die keine oder nur jämmerliche Liebeslust erleben –ihnen allen bleibt der Trost einer „wahren“ und „höheren“ Liebe.

Wir alle sind „Liebende“! Wenn du das begriffen und emotional verinnerlicht hast, können wir uns unbesorgt, ohne Bitterkeit und Ressentiments, an das prekäre Thema „Die Liebe und ihre Vollendung in der Ehe“ heranwagen. Oder sollten wir das Thema zynischerweise umbenennen in: „Die Liebe und ihr Ende in der Ehe“?

 

Leseproben | Home