Die Anmache
Einkaufen ist ein beinahe erotischer
Vorgang. Du bist auf der Suche nach einem passenden Gegenstück, nach etwas, das
dich ergänzt, auffüllt und befriedigt. Du suchst Partner und Spiegelbild deines
Ich.
Erotische Spiele gelingen bekanntlich
besser in einer animierenden Umgebung. In der Tat, man setzt alles daran, um
deinen Einkaufsbummel zu einem prickelnden Erlebnis zu gestalten. Der Streifzug
durch die Einkaufslandschaften fasziniert dich mehr als der obligatorische
Sonntagnachmittagsspaziergang in die freie Natur.
Die Natur hat vergleichsweise wenig zu
bieten. Sie präsentiert sich nicht so perfekt dekoriert und kann es mit dem
Angebot an vielfältiger Verlockung in den Einkaufsparadiesen nicht aufnehmen.
Dort breitet sich vor deinen neugierigen, lüsternen Blicken eine Palette aus,
die dein Herz höher schlagen lässt und Begehrlichkeiten weckt.
Das uralte Spiel um Verführung,
Eroberung und leidenschaftliche Hingabe kann beginnen. Die Ware präsentiert
sich in dezenter Aufmachung oder grell verpackt wie ein Prostituierte. Sie
signalisiert solide Nützlichkeit oder glitzernden Luxus; bescheidene Sachlichkeit
oder preziöse Extravaganz. Sie ist billig und leicht zu haben wie ein
Flittchen, oder geht auf Abstand, treibt es nicht mit jedermann – ein fernes,
unerreichbares Luxusgeschöpf. Beides hat seinen Reiz.
Nicht jeder Ware ist es gegeben, durch
innere Werte oder äußeren Glanz zu verlocken. Manches müsste die trostlose
Existenz eines Mauerblümchens fristen, gäbe es nicht Spezialisten, die den
spröden Produkten den nötigen Sexappeal verleihen.
Was sind das für Typen, diese
professionellen „Scharfmacher“, die sich „Werbefachleute“ nennen? Sind es verhinderte
Casanovas, notorische Aufreißer oder „leichte Mädchen“? Schließlich kennen sie
ihren Kundenkreis genau und wissen, wie sie mit ihren „Freiern“ umzugehen haben.
Wie schaffen sie es, deine schlummernde Eroberungslust zu wecken?
Man unterschätze mir den einfachen
Mann nicht. In jedem von uns steckt ein heimlicher Eroberer. Auch wenn wir beim
Thema Liebe nicht gerade abenteuerlustig, eher wie Muffel wirken – in der
Konsumszene zeigen wir uns von einer ganz anderen Seite. Da wird der verwegene
Abenteurer, die eroberungslustige Kurtisane in uns offenbar.
Gewiss, das Angebot übersteigt unsere
Kräfte, nicht immer sind wir in bester Verfassung. Bisweilen benötigen wir
einen leichten Schubs, damit aufkeimende Lust sich in den festen Entschluss wandelt;
damit aus dem zögernden „Das könnte ich gebrauchen, das gefällt mir“ ein
ungestümes „Das muss ich unbedingt haben“ wird. Es ist dies jenes beschwörende
„Ohne dich kann ich nicht leben“, bekannt aus Schlagertexten und Liebesdramen,
das dich vor einem unwiderstehlichen „Produkt“ – der Ausdruck klingt unangemessen
profan – in die Knie zwingt.
„Hol es dir!“ sagt die Werbung. Wo
sonst werden wir so erfrischend unverblümt zur Eroberung aufgefordert?
Die wenigen lebenswichtigen
Konsumgüter sind für den Werbefachmann uninteressant; sie verkaufen sich
beinahe wie von selbst. Spannender wird die Sache in dem riesigen Grenzbereich
zwischen „notwendig“ und „überflüssig“. Zum Glück leiden wir an einem
permanenten Überappetit. Wir essen uns überflüssige Pfunde an, warum sollten
wir uns nicht auch anderes Überflüssiges anschaffen? Das erleichtert den
Werbeleuten ihre Arbeit.
Die eigentliche Herausforderung
stellen jedoch jene Produkte dar, die ganz und gar unnötig und zudem ohne jede
eigene Aussagekraft sind. Je unscheinbarer das angepriesene Produkt ist, desto
mehr werbetechnische Raffinesse verlangt es. Hier setzt die wahre
Verführungskunst ein, das Spiel mit irrationalen, aber nicht minder
überzeugenden Argumenten.
Die Zigarette ist das klassische
Beispiel. Von Gestalt und Aussehen ist sie fürwahr ein armseliges, kleines
weißes Würstchen, bar jeglicher Ausdruckskraft. Wer sie anpreist, muss ihren
eigentlichen „Zweck“ verheimlichen. Wer hört schon gerne, dass er einem dumpfen
Trieb aus frustrierten Säuglingstagen nachgehe? Dass der beruhigende Zug aus
der Zigarette das verspätete Nuckeln an der Mutterbrust sei?
Den Schwachpunkt des Konsumenten
bloßzustellen wäre eine Demütigung für ihn; es wäre der Fauxpas schlechthin.
Ein guter Verführer kennt die Schwächen seines Opfers, aber er spricht sie
nicht aus. Diskretion Ehrensache.!
Es gilt, um das Produkt eine Aura
aufzubauen, die es unwiderstehlich macht. Diese Aura kann völlig illusionär
sein; sie muss in keinerlei Beziehung zum Produkt stehen. Das ist ja das Schöne
an der Zigarette: Gerade weil sie ohne jede eigene Aussagekraft ist, kann sie
mit x-beliebigen, sogar konträren Ideen verknüpft werden.
Sie steht für Establishment und für
Anderssein, für Gemütlichkeit und für Abenteuer, für die Freude an der Natur und
für die Faszination Technik. Und – jedem Typ „seine“ Zigarette! Der Aktive und
der Genießer, der Fröhliche und der Kritische, der Rustikale und der Snob, der
Lebenskünstler und die Emanzipierte – sie alle finden in der Zigarette, was sie
suchen: Identität und Aushängeschild.
Und wenn die Zigarettenwerbung gar
„Freiheit“, „Charakter“ und „Lebensfreude“ verspricht, so fühlt sich der
Konsument doch nicht auf den Arm genommen. Er akzeptiert jede noch so gewagte
Assoziation, auch wenn sie in makabrem Widerspruch zur Wirklichkeit steht.
Hauptsache, sie kommt seinem Wunschbild vom eigenen Ich entgegen.
Realitätssinn ist nicht unsere Stärke.
Das macht uns so liebenswert und verführbar wie die Kinder. Immer stehen wir
mit einem Bein im Traumland der Illusion. Ein winziges Accessoire genügt, und
wir halten uns für unwiderstehliche Abenteurer und Lebenskünstler.
Heilige Naivitas, bewahre uns vor dem
Aufwachen aus unseren schönen Träumen – vor der Vertreibung aus dem
Konsumparadies in die rauhe, spröde Wirklichkeit!